Weniger Bühne, mehr Beziehung: Wie sich starke Gemeinschaften gestalten lassen
anna-katharina
6/5/20257 min read
Die permanente Vernetzung über digitale Endgeräte gibt uns das Gefühl, verbunden zu sein. Doch oft sitzen wir isoliert vor unseren Displays und interagieren mit Menschen, die ebenfalls allein vor ihren Bildschirmen sitzen. „Wir kommunizieren miteinander an unseren Vereinzelungsmaschinen und halten das für Gemeinschaft“, sagte Jan Böhmermann kürzlich treffend. In Wahrheit fühlen sich viele von uns entkoppelt. Laut DIW Berlin erlebt fast jede*r Fünfte regelmäßig Einsamkeit – Tendenz steigend. Eine Strategie gegen Einsamkeit wurde 2023 sogar zur Aufgabe der Bundesregierung erklärt.
Echte Zugehörigkeit entsteht nicht durch neue Apps oder bessere Algorithmen – sie wächst, wo Menschen sich sehen, hören und gemeinsam etwas gestalten.
“Transformative Arbeit benötigt neben Mut, Leidenschaft und Willenskraft auch vertrauensvolle Beziehungen zwischen Menschen”, steht es im Manifest des Loop Fellow Forums* geschrieben.
Was bleibt, wenn nach einer Veranstaltung das Buffet abgeräumt ist, die Namensschilder in einer Kiste liegen und der Raum wieder leer ist? Manchmal: schöne Fotos. Manchmal: die vage Ahnung, dass mehr möglich gewesen wäre. Und manchmal: dieses tiefe Gefühl, Teil von etwas Größerem gewesen zu sein. Einer Gemeinschaft, die nicht nur Wissen teilt, sondern Wirklichkeit verändert – durch echte Resonanz.
Wenn Dein Vorhaben groß ist, verbünde Dich.
Denn in Zeiten komplexer Transformation wird Zugehörigkeit zu einer systemrelevanten Ressource. Wo Menschen sich gesehen, gehört und verbunden fühlen, entsteht ein anderes Miteinander. Eines, das Wandel möglich macht. Gemeinschaften, die wirken, entstehen nicht durch perfekte Organisation oder glänzende Inhalte. Sondern durch Räume, in denen Menschen sich als Mitgestaltende erleben: präsent, beteiligt, berührt.
Zugehörigkeit entsteht dort, wo Menschen gemeinsame Werte teilen, sich gegenseitig inspirieren und gemeinsam wachsen. Das braucht mehr als gute Technik, kreative Formate oder hübsch gefüllte Konferenz-Taschen. Beziehung lässt sich nicht in To-do-Listen fassen. Sie entsteht, wenn Menschen sich einander zumuten – mit ihren Ideen, Fragen und Bedürfnissen.
Eine Gemeinschaft entsteht durch die Menschen, die sie bilden. Sie ist ein lebendiger Organismus, getragen von den Menschen, die ihn gestalten.
Von Zugehörigkeit und Gestaltungskraft
Um unseren Plan für ein mehrtägiges Treffen umzusetzen, versenden wir neun Monate im Voraus eine Einladung für das Pionierprojekt Loop Fellow Forum* - ohne konkrete Antworten, aber mit vielen Fragen: Welcher Ort schenkt Dir die passende Stimmung? Was interessiert Dich und welche Ereignisse siehst Du vor Deinem inneren Auge? In einer starken Gemeinschaft gibt jede*r, was möglich ist, denn gemeinsam sind wir klüger.
Wenn Teilnehmende zu Gestalter*innen werden, erwacht eine Gemeinschaft zum Leben – dort, wo Grenzen verschwimmen und Ideen frei fließen.
Viele Menschen erleben Veranstaltungen heute vor allem als Konsument*innen: Sie kommen, um Neues zu hören, gut zu essen und vielleicht interessante Kontakte zu knüpfen. Das Eventmanagement sorgt für die Rahmenbedingungen und alles läuft nach Plan.
In lebendigen Gemeinschaften verschwimmen die Grenzen zwischen Organisator*innen und Teilnehmenden. Hier sind die Mitglieder nicht nur eingeladen, dabei zu sein – sie sind eingeladen, Teilgeber*innen zu werden: Das Herzstück der Gestaltung. In lebendigen Gemeinschaften lösen sich die starren Rollen von Organisator*innen und Teilnehmenden auf. Die Mitglieder treten nicht nur als passive Empfänger*innen in Erscheinung, sondern übernehmen aktiv Verantwortung und gestalten den gemeinsamen Prozess mit.
Inhalte als Resonanzfläche, nicht als Zweck
Eine Veranstaltung ist ein Resonanzraum für Erfahrungen, Inspiration und Austausch. Natürlich geht es auch um Inhalte. Doch seien wir ehrlich: Gehen wir primär wegen der Inhalte zu gemeinschaftlichen Treffen? Sie sind nicht das, was Gemeinschaft im Innersten zusammenhält. Wer Teilnehmende im Nachgang fragt, was sie berührt hat, hört selten: Die Methode X war bahnbrechend sondern: Ich habe mich gesehen gefühlt oder Ich war wirklich verbunden.
Die Antworten konzentrieren sich selten auf Inhalte, sondern auf die Atmosphäre, den Aufbau von Beziehungen, Selbsterkenntnis, Gefühle oder auch die zweifellose Unterstützung ohne eigene Interessensverfolgung. Diese Resonanz lässt sich nicht inszenieren, aber sie kann entstehen – wenn wir uns nicht zuerst als Funktionen, sondern als Menschen begegnen. Mit etwas mehr Herz- als Kopfarbeit können wir die Atmosphäre und Emotionen gestalten. Wenn wir das Zwischenmenschliche nicht als Rahmenbedingung, sondern als zentrales Gestaltungselement verstehen.
Die Bedürfnisse der Teilnehmenden im Zentrum der Gestaltung
Zugehörigkeit beginnt mit Sicherheit, der inneren Gewissheit, angenommen zu sein, wie man ist. Mit allen Facetten. Diese Sicherheit entsteht, wenn Veranstaltungsdesign nicht nur Funktionen, sondern Bedürfnisse im Blick hat. Welche Menschen sind eingeladen – und welche nicht? Wer braucht Orientierung, wer Freiraum? Wo entstehen Regenerationsräume? Welche Übergänge stärken, welche überfordern?
Es lohnt ein Griff in die Kiste der Kreativitätsmethoden. Ich arbeite gerne mit Teilnehmenden-Personas und kuratiere die Agenda entlang echter, nicht vermuteter Bedarfe. Zentrale Werkzeuge: Fragen, Hinhören, Mustererkennung. Und das Vertrauen, dass nicht alles vorher klar sein muss, um vor Ort wirkungsvoll zu sein.
Verantwortung verteilen, Vertrauen mehren
„Alle Teilnehmenden werden am Eingang persönlich willkommen geheißen. Alles, was wir brauchen, ist vor Ort. Das Forum ist mit Erkenntnissen und Erfahrungen aus der Loop Praxis bereichert. Alle Teilnehmenden bekommen durch kontinuierliche Moderation eine Orientierung. Die Bedürfnisse zwischen uns und der Location sind laufend kommuniziert.“ (Auszug aus dem Forums-Governance-Meeting).
Auch bei Veranstaltungen arbeite ich gerne rollenbasiert. Eine Rolle erfüllt immer einen Zweck und besitzt eine oder mehrere Verantwortlichkeiten. Systemisch gedacht bedeutet das: Beziehung ist nie eindimensional. Verantwortung auch nicht. Wenn sie geteilt wird, wächst nicht nur Effizienz, sondern auch Zusammenhalt. Da eine lebendige Gemeinschaft die Summe ihrer engagierten Mitglieder ist, sind bei einer gemeinschaftlichen Veranstaltung auch die Verantwortungen verteilt. Der Vorteil: Es geht nicht darum, dass ein detaillierter Ablaufplan aufgeht, sondern dass die Menschen ihre Potenziale entfalten und damit aktiv den Veranstaltungsflow kreieren.
Gastgeben als Haltung
Auch in partizipativ gestalteten Formaten braucht es eine tragende Rolle: die Gastgeber*innen. Sie laden ein und bleiben präsent. Sie hören zu, stellen Fragen, vernetzen. Sie achten auf Energie, auf unausgesprochene Dynamiken, auf die Qualität von Übergängen. Sie handeln voller Gleichberechtigung und unterscheiden nicht zwischen eingeladenen und dienstleistenden Personen. Sie halten den Raum und die wichtigen Zeiten ein. Gastgeber*innen deuten Überraschungen an und hüten Geheimnisse. Sie sind auch mal albern, wenn es dem Veranstaltungszweck dient. Und sie hören nicht auf, nur weil die Veranstaltung zu laufen scheint. Gastgeben ist kein Status, sondern eine Haltung: aufmerksam, beziehungsstark, nie zufällig. Wie bei einem Abend mit Freund*innen, bei dem jemand dafür sorgt, dass alle sich gesehen und gemeint fühlen.
Beziehungsräume sichtbar machen
Gemeinschaft braucht Beziehung. Und Beziehung braucht Form. Beim Loop Fellow Forum begannen wir mit einem offenen Abendessen, ohne Agenda, aber mit Zeit. Im Verlauf des Forums nutzen wir Check-ins in Kleingruppen für bewusste Momente der Begegnungen.
Solche Momente strukturieren nicht nur, sie emotionalisieren auch. Sie schaffen Verbindlichkeit ohne Formalität. Und sie machen sichtbar, worauf es eigentlich ankommt: die Qualität unserer Begegnungen.
Rituale wirken tiefer als Goodiebags
Was bleibt nach einem Event? Nicht der Methodenkoffer, sondern: Musik, Worte, Blicke, Gesten. Kleine Aufmerksamkeiten und besondere Gesten verbessern jedes Veranstaltungserlebnis. Sie zeigen: Wir schätzen Deine Teilnahme an diesem Treffen. Diese Anerkennung wird konventionell durch Goodiebags und Geschenke ausgedrückt. Doch was braucht es wirklich?
Rituale stiften Bedeutung. Sie verankern Erlebnisse emotional. Beim Forum entstand daraus eine musikalische Playlist, ein eigener Song und eine Postkartenaktion, bei der jede*r Teilnehmende einem Menschen außerhalb des Kreises schrieb: Das mag ich mit Dir teilen. So wirkt Gemeinschaft weiter, auch wenn das Treffen vorbei ist.
Veranstaltungen als Kulturarbeit
Ein Zusammentreffen hat immer einen Anfang und (leider) auch ein Ende – einen Zeitraum, den wir in Tagen zählen. Eine Gemeinschaft mit verbindenden Erlebnissen, geteilten Emotionen und dem ein oder anderen Ohrwurm darf bleiben. Ein Veranstaltungsende erinnert immer auch daran, warum wir zusammengekommen sind. Ein Moment der Verbindungskraft mit der Frage: Wie können wir das in der Gemeinschaft Entstandene in die Welt tragen?
Jede Zusammenkunft ist ein kultureller Eingriff. Sie zeigt, wie wir einander begegnen wollen. Ob wir Raum lassen für das Ungeplante. Ob wir Vertrauen organisieren können. Ob wir Menschen einladen, wirklich da zu sein. Ich bin überzeugt: Wenn wir Veranstaltungen als soziale Gefäße gestalten, in denen Beziehung möglich wird, dann wirken sie über ihren Anlass hinaus. Dann verändern sie nicht nur Teams oder Projekte – sondern auch unser Verständnis davon, wie wir arbeiten, lernen und leben wollen.
Dieser Text wurde zuerst auf den TheDive Blog veröffentlicht.
Foto Credits:
Jana Rodenbusch
Yanina Isla


























Wenn Teilhabe mehr ist als Teilnahme
Verantwortungsübernahme ist eine anspruchsvolle Verpflichtung mit Prinzipien, Identität, Regeln und Werten. Gemeinschaften schaffen ein Gleichgewicht zwischen liebevoller Organisation im Vorfeld und gemeinsamer Entwicklung mit den Mitgliedern.
Nach zahlreichen Antworten und neuen Fragen auf die Einladung wissen wir: Gemeinsam gestalten wir eine Austauschplattform, die sich anfühlt wie eine freundschaftliche Gartenparty mit inhaltlichen Beiträgen in klarer Agenda-Struktur. Es gilt herauszufinden, welche Mitglieder einen aktiven Beitrag leisten möchten und wie wir alle Menschen in den Austausch bringen. Daraus ergibt sich auch für Veranstaltungen ein anderes Verständnis von Verantwortung: Sie ist nicht gebündelt, sondern verteilt. Nicht linear, sondern lebendig. Das Ziel ist nicht ein lückenloser Ablauf, sondern ein Raum, in dem Potenziale sichtbar und wirksam werden.
Ein wahres Gefühl der Zugehörigkeit zu erfahren, erfordert die Sicherheit, in einer Gemeinschaft so angenommen zu werden, wie man ist: Ein Mensch mit vielfältigen Nuancen.


Jede Veranstaltung prägt die Kultur des weiteren Miteinanders. Jedes Treffen ist ein transformatives Moment, das die Art, wie wir uns in Zukunft begegnen, verändert.
*Das Loop Fellow Forum ist ein mehrtägiges, co-kreativ gestaltetes Treffen der Absolvent*innen der Loop Academy, ein Weiterbildungsprogramm für Menschen, die Transformation in Organisationen wirksam gestalten wollen.



